Ela hat heute auf einen Kommentar geantwortet und ich möchte dies zum Anlass für einen Artikel nehmen.
Warum tun wir uns das an? Warum machen wir Urlaub am Nordpol, warum laufen wir 200km in der Wildnis ohne Restaurants, weiche Hotelbetten, warum schleppen wir 20, 25kg Rucksäcke durch die Gegend und warum übernachten wir im Zelt, im Schlafsack, bei Regen, Sturm, Schneetreiben?
Warum?
Das warum hat sich mir eigentlich noch nie gestellt. Als ich vor Jahren das erste mal auf Grönland war, am Rande des Inlandeises, in die Ferne geschaut habe und dachte „Hier muss man mal drüber laufen“ (nicht, das könnte man vielleicht mal machen sondern ich MUSS das mal machen), hat mich das Trekkingfieber gepackt.
Diese unglaubliche Einsamkeit, die unglaubliche Weite, die unglaubliche Stille und diese unglaubliche Landschaft. Ich weiss auch nicht, es ist ein innerer Zwang, es zu tun.
Grönland, Ilulissat Isfjord
Der Inuit, der mir in der Bar des Hotels Hvide Falk in Ilulissat sagte „wenn Du das erste mal hier bist, wirst Du entweder niemals wieder hier fort kommen oder niemals wiederkehren“.
Ich bin nicht fort gekommen. Mental.
Diese eine Grönlandreise hat mein Leben verändert.
Ich war damals nur der Computerfuzzy, dessen schwerste Aufgabe es war, den Bleistift am Schreibtisch hoch zu heben. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mit Zelt und Schlafsack durch die Gegend zu laufen. Urlaub in Spanien oder USA oder zum Skilaufen in Österreich, das war mein Urlaub.
Bis Grönland.
Dann Winterurlaub auf Spitzbergen. Arktis extrem. Aber im Hotel. Nur mit Tagesausflügen, dafür in die Berge, in den Longyearbreen Gletscher, ganz alleine in völliger Dunkelheit, immer gewiss, dass ein Eisbär meinen Weg kreuzen könnte.
Dann meldete ich mich zur Fjällräven Classic an. 110km im Fjäll Lapplands auf Zeit. Outdoor zwar aber doch mit vielen Leuten.
Ich trainierte in Deutschland, morgens gestartet und wenn ich keine Lust mehr hatte, wurde das Taxi gerufen und ich fuhr nach Hause.
Nein, es ist nicht das gleiche, es ist nicht befriedigend.
Dann lief ich in Schottland. 160km und ganz alleine aber dennoch mit Hotels zwischendrin.
Dann wieder die Classic und dann nochmal die Classic und zwischendrin immer wieder Spitzbergen im Winter.
Dinge, die im zivilisierten Leben ganz normal sind, mal eben ins Auto steigen, einkaufen fahren, mal eben jemanden anrufen, wenn man Hilfe braucht, mal eben unter die Dusche, wenn man möchte, auf die Couch legen, den Fernseher einschalten, arbeiten von 9 bis 5, tagein tagaus. Und im Urlaub anstehen, wenn es zur Abfütterung geht, dazwischen die Liege mit dem Handtuch nicht aus den Augen verlieren, den Kampf gegen die anderen Urlauber ausfechten, wer wem welche Liege am Strand streitig macht.
Beim Trekking geht es um urtümliches, um existenzielles.
Wieviel Essen muss ich mitnehmen? Was muss ich zu essen mitnehmen, was will ich überhaupt die kommenden Wochen essen, was muss ich an Ausrüstung mitnehmen? Welche Tiere könnten mich erwarten? Welche Sicherheitsvorkehrungen muss ich treffen? Was, wenn ich mir unterwegs ein Bein breche?
Der Kopf wird frei, spätestens am dritten Tag, man denkt nicht mehr darüber nach, ob man die Mail an den Chef geschrieben hat, in welches Meeting man gehen muss. Man denkt nur darüber nach, wie man die Etappe schafft, ob man Tiere sieht oder ob man einfach nur an diesem wunderschönen See eine Stunde oder zwei verweilen will. Oder vielleicht den ganzen Tag?
Die Probleme, die Entscheidungen, die man auf dem Trek treffen muss, haben nichts, aber auch gar nichts mit den Entscheidungen in der Heimat zu tun.
Habe ich den Herd ausgemacht? Na klar, der Herd ist zerlegt im Rucksack. Soll ich hier bleiben oder soll ich weiter gehen. Wieviel Essen in Pulverform habe ich denn noch dabei? Kann ich mir unterwegs irgendwas zum essen fangen oder sammeln? Wie wird das Wetter in den kommenden Tagen? Wie lange halten die Batterien des GPS Gerätes noch? Wann habe ich das letzte mal die Abweichung zum Nordpol mit GPS und Kompass überprüft, falls das GPS Gerät kaputt geht?
Es ist ein Leben, wie es gegensätzlicher zur Zivilisation nicht sein könnte.
Es ist kein „kann ich bei rot über die Ampel gehen, wenn kein Auto kommt?“, sondern ein „kann ich jetzt das Tal durchqueren, obwohl da unten Moschusochsen Rangkämpfe ausfechten?“ oder „Gehe ich hier oben durch den Fluss, wo die Strömung stark ist aber der Fluss schmal oder weiter unten, wo weniger Strömung ist dafür der Fluss doppelt so breit?“
Natürlich soll jeder seinen Urlaub so gestalten, wie er es für richtig hält. Aber ich habe im Alltag, im Job genug Stress. Ich muss keinen „Europa in 5 Tagen“ haben.
Sicher, ich habe auch schon Urlaub gemacht in New York, auf den Bahamas, in Spanien, England, Las Vegas. Entspannen, wie ich es beim Trekking kann, konnte ich dort nicht.
Allerdings kommt beim Trekking der Stress vorher. Den Rucksack auf und los gehts funktioniert nicht ganz. Trekkingurlaub ist teuer. Schweineteuer sogar.
Den All-Inklusive Urlaub gibt es ab 99 Euro die Woche. Den Flug in die Arktis gibt es nicht unter 800 Euro pro Person. Dazu ein Schlafsack, natürlich keinen aus dem Baumarktsonderangebot, nein, Daune muss es schon sein, denn selbst im Hochsommer wird es Nachts spürbar unter Null Grad Celsius. Dazu ein sturmfestes Zelt, was sehr schnell teurer ist als vier Wochen Hotel auf Mallorca. Wanderstiefel, Benzinkocher, Iso-Matte, Rucksack. Alleine mein Rucksack hat schon an die 600 Euro gekostet.
Eine gesamte arktistaugliche Trekkingausrüstung kostet schnell mal an die 4.000 Euro.
Wer dann noch das fortgeschrittenen Stadium erreicht und mit Ultraleicht anfängt, liegt ganz schnell noch weit darüber.
Dann lernte ich meine heutige Lebensgefährtin kennen und muss nicht mehr ganz alleine durch die Weiten der Arktis streifen sondern sie teilt meine Leidenschaft für diese ungewöhnliche Urlaubsbeschäftigung.
Und nicht nur dafür liebe ich sie!